Der (sehr lesenswerte) Hashtag #Behindernisse auf Twitter hat mich daran erinnert, was wir im Laufe der letzten Jahre so an Vorurteilen und Aussagen zu hören bekommen haben. Und wie widersprüchlich viele davon sind, wenn man sie mal direkt gegenüber stellt. Hier mal eine kleine Sammlung unserer Erlebnisse.
„Also sowas hätte man ja unter Adolf vergast!“
ältere Dame in einer Drogerie mit angewidertem Blick auf den 3-jährigen Paul, der summend und kopfschlagend im Buggy saß
versus
„Der ist Autist? Aber der sieht doch gar nicht autistisch aus!“
andere Mutter im Kindergarten (Wie sehen denn Autisten aus?)
„Er geht auf eine Regelschule? Dort ist er doch sicher überfordert!“
flüchtige Bekannte
versus
„Autist? Dann ist er doch ein Mathegenie!“
Nachbarin
„Er muss lernen sich anzupassen, damit er nicht so auffällt!“
gab es schon von verschiedenen Leuten
versus
„Der ist doch kein Autist, der redet ja mit mir!“
ebenfalls schon mehrfach gehört, auch in den Abwandlungen „Er guckt mich doch an“ oder „Er lacht doch“
„Autismus ist doch auch nur so eine Modediagnose, damit man eine bequeme Ausrede hat, warum das Kind nicht erzogen wurde!“
Bekannte
versus
„Autismus? Die gehören doch in geschlossene Anstalten!“
andere Bekannte
„Dieses Maß an Hilfestellung können und wollen wir auf dieser Schule nicht leisten.“
Rektor einer Grundschule, der Paul gerade zum ersten Mal sah
versus
„Ist denn tatsächlich eine Schulbegleitung nötig?“
Amt
„Begründen Sie bitte ausführlich und mit Beispielen, dass ihr Sohn an der sozialen Teilhabe gehindert ist… ach so, er benötigt eine Schulbegleitung in Vollzeit und kann ohne Begleitung nirgendwo hin. Okay, das ist eine Behinderung.“
Versorgungsamt
versus
„Ihr Sohn ist zwar hilflos und bekommt Merkzeichen H, aber die Voraussetzungen für Merkzeichen B (ständige Begleitung) sind nicht erfüllt.“
Versorgungsamt (Nein, diese Logik muss ich nicht verstehen)
„Das Kind muss mehr unter andere Kinder. Sorgen Sie für mehr soziale Kontakte am Nachmittag!“
Ärzte, Amt
versus
„Komm weg da, mit dem sollst du nicht spielen, nicht dass du dich ansteckst.“
mir unbekannte Mutter auf einem Spielplatz
Wenn ich noch länger überlege fallen mir bestimmt auch noch mehr Sachen ein. In der Gegenüberstellung wirkt es teilweise so absurd, dass ich darüber lachen kann. In den konkreten Situationen haben mich allerdings einige dieser Aussagen sehr verletzt. Und sie alle zeugen von großer Ahnungslosigkeit und Aufklärungsbedarf in Sachen Autismus. Es gibt noch viel zu tun.
Oh mein Gott, ich glaube bei der Oma wäre ich ausgetickt und hätte meine gute Kinderstube vergessen, genauso wie bei 50% Deiner Aussagen.
Bei uns läuft es in der Regel so: „Was, der hat doch nix….“ „Das ist normal in dem Alter“ „Der ist nur schüchtern…“ „Der muss mit anderen Kindern mehr spielen, dann kommt das von alleine“… Achja, die Behördenaussagen kenne ich aber alle zu gut. Und dann sind noch inkompetente „Fachkräfte“ die meinen, die Diagnose anzuzweifeln und mir Ritalin zu empfehlen…
Solche groben Beleidigungen habe ich zum Glück noch nie erfahren.
Wie hast du z.B. bei dieser Oma im Geschäft reagiert?
Ich war schlicht sprachlos. Ich habe eine ganze Zeit gebraucht, ehe in meinem Hirn ankam, dass sie das tatsächlich gerade gesagt hat. Auch den Umstehenden stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Zu der Dame selber hat keiner etwas gesagt.
Ist vielleicht auch besser so…. schade um die Mühe, mit so einer Person zu streiten!
Wegen SBA das B bezieht sich, soweit mir gesagt wurde, Hauptsächlich auf die regelmäßige Nutzung des Nahverkehrs. Mir wurde gesagt, daber Merkmal H hat und noch ein Kind ist, die Berechtigung noch nicht vorliege, weil er die öffentlichen Verkehrsmittel nicht alleine nutzen würde und eine Begleitperson vorausgesetzt wäre… Und er stelle ja für andere keine Gefahr dar… (Für sich selber aber Sehrohr, ich kanns auch nicht nachvollziehen)
Die anderen Aussagen sind mir (leider) auch schon begegnet…
Ja, das ist die Begründung, mit der manche Versorgungsämter das B gerne ablehnen. Das ist aber falsch. Wenn das Merkzeichen H zuerkannt wird, dann ist das B quasi schon begründet.
Hat dies auf Sunnys Space rebloggt und kommentierte:
Das kennen leider auch zu viel Angehörige autistischer Kinder… bei uns war es oft die Frage, ob sich das raus wachsen würde, aber es gab auch viel Mitleid etwa wie „wow das könnte ich nicht“ ….
Mir wurde auch mal gesagt „so etwas hätte es damals nicht gegeben“ – ich war entsetzt, kontte aber relativ zeitnah kontern (ja und solche Menschen wie sie wären bei den Nürnberger Prozeßen wegen solcher Äußerungen entsprechend verurteilt worden)…. meistens höre ich aber eher Aussage wie „das könnte ich nicht“ oder die Frage, ob sich das wieder raus wächst…
Pingback: Markierungen 02/03/2016 - Snippets
Leider zu wahr….
Ich finde es einfach unfassbar, vor allem der Ausspruch dieser Dame. Ganz ehrlich, da wäre ich auch sprachlos gewesen und wüsste auch nicht, wie ich da reagiert hätte. Und auch bei den anderen Zitaten zeigt sich, wie wenig Ahnung, wie wenig Verständnis manche Leute für Menschen haben, die anders sind. Vor allem diese Klischees, von wegen Mathegenie und nicht mit anderen reden, sind anscheinend trotz aller Bemühungen unsererseits um Aufklärung noch immer in den Köpfen vieler Menschen.
Pingback: Selbstdiagnose, Selbsttäuschung? – autistenbloggen
Also bei der alte Dame wär bei mir Sense gewesen…