In den letzten Tagen geht es auf Twitter heiß her. Alles begann recht harmlos mit diesem Tweet:
Fachgespräch der Unionsfraktion zur Teilhabe behinderter Menschen in der Arbeitswelt. #Bundestag pic.twitter.com/v7Pg1PoZxG
— Uwe Schummer (@UweSchummer) 26. September 2016
Auf interessierte Nachfrage, ob denn auch behinderte Menschen dabei gewesen wären, dauerte es eine ganze Weile und einige weitere Tweets, ehe Herr Schummer mit der Antwort rausrückte. Nein, Menschen mit Behinderung waren nicht anwesend, aber „Praktiker“. Ich halte das für diskussionswürdig. Und nicht nur ich. Herr Schummer wiederum fühlte sich angegriffen und antwortete:
@Felicea @AnitaWorks9698 Halten Sie Schwerbehindertenvertreter und Elternvertreter eines Verbandes für nicht betroffen?
— Uwe Schummer (@UweSchummer) 28. September 2016
Autsch. Aus dem Fettnäpfchen direkt in die Altöltonne gesprungen. Da Herr Schummer die ihn kritisierenden Menschen mit Behinderung auch gleich mal blockte, entlud sich die Empörung in verschiedenen Tweets unterschiedlicher Personen auf Twitter. Absolut verständlich, mir stand auch der Mund offen, als ich das las.
Im Lauf der Diskussion fühlten sich dann aber aus irgendwelchen mir nicht nachvollziehbaren Gründen plötzlich Eltern behinderter Kinder angegriffen. Die dann wiederum heftig die Selbstvertreter und Aktivisten angingen. Teilweise mit Formulierungen aus der untersten Schublade. Deshalb möchte ich als Elternteil eines behinderten Kindes jetzt ganz klar Stellung beziehen.
Zur Erinnerung: Das Thema war „Teilhabe behinderter Menschen an der Arbeitswelt“.
Wir reden hier also von Erwachsenen. Nicht über Inklusion in Kindergarten oder Schule, wo natürlich Eltern ein ganz großes Mitspracherecht haben müssen, weil sie eben Sorgeberechtigte sind. Wobei ich auch bei dem Thema oft genug mit den Zähnen knirsche, weil es leider Eltern gibt, die nicht aktiv für die Rechte ihres Kindes eintreten sondern eigene Interessen verfolgen. Aber das möchte ich jetzt nicht vertiefen. Vielleicht ein andermal.
Menschen mit Behinderung fordern zu Recht immer lauter und nachdrücklicher „Nichts über uns ohne uns“. Und sie kritisieren zu Recht die immer noch gängige Praxis, dass zwar alle möglichen Leute zu solchen Veranstaltungen eingeladen werden, aber keine Selbstvertreter sondern Menschen, die in Einrichtungen arbeiten oder Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, die selbst aber nicht behindert sind. Und mir will absolut nicht in den Kopf gehen, warum bei einem Fachgespräch zur Teilhabe an der Arbeitswelt Elternvertreter geladen waren. Ich frage doch auch nicht meine Eltern, bei welchem Arbeitgeber ich demnächst eine Bewerbung abgebe. Und schicke nicht meine Eltern zum Chef, wenn ich Urlaub beantrage oder eine Gehaltserhöhung möchte. Das ist doch absurd.
Und nein, ich als Elternteil maße mir nicht an, jetzt schon sicher sein zu können, welche Bedürfnisse mein Sohn hat, wenn er irgendwann die Schule abgeschlossen hat und es für ihn in die Arbeitswelt geht. Wieso sollte ich mich also persönlich angegriffen fühlen, wenn Selbstvertreter behinderter Menschen für sich selbst sprechen wollen und nicht ihre Eltern sprechen lassen wollen? In einer idealen Welt würden zwar die Eltern durchaus die Interessen ihres dann erwachsenen Kindes vertreten, aber die Realität zeigt, dass es häufig nicht so ist.
Nein, Herr Schummer, ich als Elternteil bin nicht betroffen im Sinne Ihrer Frage. Ich bin Elternteil eines behinderten Kindes und daher auch engagiert. Um für mein Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber ich setze mich dafür ein, dass man auf die wahren Experten für die Bedürfnisse behinderter Menschen hört: Sie selbst.
Ich spreche für meinen Sohn, solange er das selbst nicht kann. Aber ich erwarte, dass er als Erwachsener nicht von irgendwelchen wohlmeinenden Fürsprechern bevormundet wird sondern dass man ihm zuhört. Nicht mehr und nicht weniger fordert auch die UN-Behindertenrechtskonvention. Weg von der Fürsorge hin zur selbstbestimmten Teilhabe. Meine Aufgabe als Elternteil ist es, meinen Sohn so gut es eben geht dazu zu befähigen, sich selbst zu vertreten. Dazu gehört auch, dass ich jetzt den erwachsenen Menschen mit Behinderung zuhöre und ihnen nicht den Mund verbiete, weil sie vielleicht Dinge sagen, die mir nicht gefallen. Von ihnen kann man viel lernen.
Ich sehe mich auch in zwei Rollen. Ich bin zum einen die Vertreterin meines Sohnes. Als solche habe ich die Aufgabe, seine Rechte zu vertreten. Und ich bin Mutter eines behinderten Kindes. In dieser Rolle kämpfe ich unter anderem auch für die Interessen pflegender Angehöriger. Das ist aber überhaupt kein Widerspruch. Im Gegenteil, das ergänzt sich ganz wunderbar. Wir Eltern müssen lernen loszulassen. Das gilt gerade auch bei behinderten Kindern.
Um auf die Überschrift zurückzukommen: In meinem Fall heißt es eben nicht „Eltern versus Selbstvertreter“ sondern „Eltern Seite an Seite mit den Selbstvertretern“. So lässt sich sehr viel mehr erreichen.
Sehr viele Eltern wissen schon bei ihren autistischen Kindern im Kindergartenalter ganz genau, dass diese sie ein Leben lang brauchen werden. Oder sie glauben es zu wissen. Der Gedanke, dass auch ein behindertes Kind eines Tages volljährig und mündig sein wird, kommt im Weltbild nicht vor.
Das ist sehr schade und extrem kurzsichtig.
Ja. Ich persönlich sehe diese Haltung als problematisch bis gefährlich an. Wieviel Entwicklung wird vielleicht unterbewusst unterdrückt, wenn das eigene Kind als ewiges Kind angesehen wird?
Erwartungshaltung ist mächtig. Das sehen wir alleine schon an den ganzen schlechten Matheschülerinnen von Lehrern, die glauben, das Mädchen nicht gut in Mathe sein können.
Das muss nicht mal autistische Kinder betreffen.
Ich kenne durch die Maßnahme die ich vor kurzem (endlich) beendet habe eine Frau, dessen Mutter bei der Geburt „prophezeit“ bekommen hat, ihre Tochter wäre dumm und würde nicht lange Leben.
Als Ergebnis hat die Mutter sämtliche Lernversuche oder Erfahrungssammlungen der Tochter unterdrückt und sie in Watte eingepackt. Wenn die Frau als Kind was versucht hat kam von der Mutter ein „Ne lass mal, das kannst du eh nicht“
Auch sowas ist ein sehr gutes Negativbeispiel.
Leider wird Eltern dies auch so von einigen
-Ämtern
-Schulen
-Therapeuten
-Begleitern
vermittelt.
Und anstatt dagegen zu halten, lassen einige Eltern davon beeindrucken und übernehmen diese Denkweise.
Immer schön mit dem defizitären Blick auf alles anstatt einmal nach wirklichen Möglichkeiten in Kindheit und Jugend zu suchen. *seufz*
Was sind denn das schon wieder für Diskussionen? Ich glaub es nicht. Liebe Mela und an alle die, die mir in den letzten Jahren geholfen haben, meinen Sohn zu verstehen. Danke. Denn ohne euch würde ich heute immer noch auf die,hören, die sich als Fachleute, Experten oder Vertreter bezeichnen. Auch wenn ich alles daran setze, meinem Sohn den Weg zu ebnen. Ich setze mich nicht mehr über seine Wünsche und Bedürfnisse hinweg, weil diese Fachleute meinen, es besser zu wissen. Ohne Euch hätte ich nicht den Willen und die Kraft gehabt, mich gegen jegliche guten Ratschläge und Empfehlungen hinweg zu setzen und mich in mein Kind hineinzuversetzen. Dank euch bemühe ich mich mein Kind selbst entscheiden zu lassen, was ihm gut tut und welchen Weg er einschlagen möchte. Als Sohnemann mit 9 Jahren geöussert hat, er will in die Gamerbranche habe ich das noch für völlig abwegig gehalten. Jetzt setze ich alles daran, dass er diesen Weg gehen kann. Da es sein Weg ist, der seinem Wunsch und vor allem seinen Föhigkeiten entspricht. Wenn alles glatt läuft, darf er bald ein Schülerpraktikum bei einem der weltweit größten Gameentwickler machen und das, obwohl sie noch nie Schülerpraktikanten genommen haben. Wenn früher ein Kind gesagt hat, ich will Fussballer werden, haben diese Kinder zu hören bekommen: lern erst mal was anständiges. Heute sind Fussballer Stars. Warum also sollte ich meinem Sohn ein selbstbestimmtes Leben verweigern, nur weil er einen anderen Weg nehmen will, der seinen Fähigkeiten entspricht, obwohl dieser Weg nicht der Norm entspricht. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, da müssen wir Eltern uns lösen von den üblichen Wegen. Und dazu braucht es die Stimmen Erwachsener. Und diese sollten dann auch in den entsprechenden Gremien vertreten sein. Apropos, wo sind da dann die auch in der Regierung vorhandenen Behinderten? War von diesen niemand anwesend?
Nun ja, für viele Kids fängt die Arbeitswelt an, bevor sie volljährig sind. Wer geht mit zur Bundesagentur für Arbeit? Wer unterstützt bei Rechtsstreitigkeiten? Wer berät? Gerade bei autistischen Kindern ohne Peer-Group und Freunde begleiten doch die Eltern. Ob sie wollen oder nicht.
Und noch was: es gibt viele Menschen mit Behinderungrn, die etwas länger zum
Reifen brauchen und ihre Eltern haben da länger ihren Job zu erfüllen als von Kindern ohne Entwicklungsverzögerungen.
Dass es auch Eltern gibt, die ihre Kids einschränken-und bevormunden- ja. Und klar, Menschen mit Behinderungen sollen entscheiden. Aber warum Eltern per se unterstellen, sie könnten nicht loslassen? Ich bin über
Jede verdammte Angelegenheit , die mein Kind ( erwachsen) selbst erledigen kann froh . Leider bleiben immer noch genug Gelegenheiten, für mein Kind sprechen zu müssen. Der Übergang Schuöe / Berif ist so mies geregelt – und dass es da besonderes Engagement von älteren Behinderten gibt, konnte ich noch nicht ausmachen. Was also soll das Eltern- bashing?
Wo genau steht etwas von pauschalem Eltern-Bashing? Ich hab ja durchaus kein Problem damit, auch mal meine Rolle kritisch zu hinterfragen, aber ich selbst fühle mich durch meinen Text nicht gebasht.
Es gibt eine Menge Selbstvertretungen, die sich auch im Bereich Berufswelt engagieren. Warum war nicht ein einziger Vertreter davon eingeladen? Es ging übrigens um Möglichkeiten zur Teilhabe an der Arbeitswelt. Nicht um Berufsberatung, nicht um Ausbildung, nicht um Schulbildung, nicht um Rechtsberatung. Falls das in meinem Text oben nicht deutlich wurde.
Niemand sagt etwas gegen Eltern, die die Interessen ihrer erwachsenen Kinder in Zusammenarbeit mit ihnen vertreten, weil sie es selbst nicht können. Aber es haben bei weitem nicht so viele Menschen mit Behinderung eine umfassende gesetzlichen Betreuung wie offenbar fälschlicherweise immer noch angenommen wird.
Was soll eigentlich dieser vorwurfsvolle Ton mir gegenüber? Vertreten wir nicht die gleichen Ziele, nämlich volles Selbstbestimmungsrecht für Menschen mit Behinderung?
Butterblumenland: : Dein Text basht auch nicht. Ich hatte mich auf die Diskussion hör bezogen. Sorry wegen der Tippfehler- mobil geschrieben
Liebe Leidenschaftlichwidersynnig,
wir kennen uns schon ein ganzes Weilchen. Und ich denke, wir (Butterblumenland, ich und auch Du) meinen dasselbe.
Du würdest niemals etwas tun, was Dein Kind nicht will. Du orientierst Dich immer daran, was Dein Kind will und hilfst ihm, seine eigenen Ziele durchzusetzen.
Und wenn Dein Kind dich bittet, es zu unterstützen, dann tust Du das. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich hab es hier auch nochmal beschrieben
https://autismuskeepcalmandcaryon.wordpress.com/2016/10/01/behinderung-des-kindes-wer-ist-betroffen/
So, wie ich Dich kennengelernt habe, würdest Du Dich niemals hinstellen und den behinderten Menschen ihre Stimme wegnehmen, sondern sie unterstützen. Darum geht es. 🙂
So ist es. Und es gibt noch viele andere Eltern, die es ebenso machen .
War vllt etwas impulsiv von mir, mich einzumischen, ohne auf Twitter dabei gewesen zu sein. Seinen Blog finde ich gut. Du bringst es auf den Punkt. Das so. H Eltern , betroffen , fühlen, kann ich aber auch verstehen. Denn schlechte Möglichkeiten der Teilhabe bedeuten oft auch , selbst schlecht aus der Betreuungs/ Begleitungsnummer raus zu kommen.
Das habe ich in dem heutigen Blogbeitrag https://autismuskeepcalmandcaryon.wordpress.com/2016/10/02/liebe-eltern/ noch mal versucht, zu differenzieren.
Denn ich weiß, wie schwer und zäh das alles ist. Aber gerade Du warst es, die mir vor Jahren genau das erklärt hast, dass man differenzieren muss. 🙂
😀
Pingback: Liebe Eltern…… – Autismus – Keep calm and carry on
Port, ich habe die nur den Diskussionsausschnitt hier mitbekommen – und wird weniger thematisiert, dass Menschen mit Behinderung nicht geladen waren. Was skandalös ist. Hier wir von Eltern, die sich nicht lösen können etc. gesprochen.
Und die Arbeitswelt fängt mit Dr. Ausbildung an . Auch Minijobs gehören dazu und andere prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen minderjährige ( auch mit Behinderung ) nicht selten zu finden sind.
Leider hören immer noch zu viele Eletern auf die Prognose sogenannter „Fachleute“ , die sich sogar noch schlimmeres als solche Kommentare leisten.
Z.B. In den sind in den USA aber auch hier immer mehr mit Euthanasiefantasien aus der NS-Zeit präsent, die in der heutigen Zeit einfach nichts mehr zu suchen haben, was zumindest einigen Elternteilen zu denken geben sollte.
Denn, welches Elternteil, dass intersse an seinem Kind hat, würde sich Leute anschließen, die es am liebsten gleich töten würden.
Und ja, solche äußerung findet man leider oft und wortwörtlich, nicht nur von Fachleuten, sonder auch von Eltern, wie zum Beispiel in „Autism everyday“ oder wie diese Grütze der
(Achtung: Sarkasmus) meist geliebten (Sarasmus Ende) NS-Nachfolgeorganisation Autism Speaks, dass dan auch nichts mehr mit „nicht lösen können“ zu tun hat, sondern simpler Hass von primitiven, konformitätsgeilen Gesellschaftsfanatikern auf die Andersartigkeit des eigenen Kindes.
Schön zu sehen, dass es noch Eltern (wie in diesem Blog) gibt, die sich noch für ihre Kinder und nicht für unsinnige Gesellschaftsvorstellungen einsetzen.
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