Unzulässige Wiederbegutachtung (Rant)

Manchmal kommt es mir vor, als ob man mit einem behinderten Kind wirklich nicht mal einfach in Ruhe gelassen werden kann. Da hat man mit viel Mühe und harten Kämpfen endlich mal das Leben in etwas ruhigere Bahnen gelenkt, kommt schon aus der nächsten Ecke ein neuer Angriff. Diesmal ist es die Pflegekasse. Sie möchten eine Wiederbegutachtung, ob denn Paul auch weiterhin Pflegestufe 2 zusteht. Das ist natürlich ihr gutes Recht. Eigentlich. Jetzt kommt das große Aber: Da ab Januar die neuen Pflegegrade in Kraft treten, die die bisherigen Pflegestufen ersetzen, hat der Gesetzgeber für die bessere Planbarkeit den § 18 Absatz 2a geschaffen.

(2a) Bei pflegebedürftigen Versicherten werden vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Dezember 2016 keine Wiederholungsbegutachtungen nach Absatz 2 Satz 5 durchgeführt, auch dann nicht, wenn die Wiederholungsbegutachtung vor diesem Zeitpunkt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder anderen unabhängigen Gutachtern empfohlen wurde.

Abweichend von Satz 1 können Wiederholungsbegutachtungen durchgeführt werden, wenn eine Verringerung des Hilfebedarfs, insbesondere aufgrund von durchgeführten Operationen oder Rehabilitationsmaßnahmen, zu erwarten ist.

Ich gucke jetzt mal auf meinen Kalender. Seltsam. Mein Kalender sagt mir, dass der 01. Juli 2016 schon ein paar Wochen zurück liegt. Ich bin außerdem der Meinung, dass der Gesetzgeber sich ziemlich eindeutig ausgedrückt hat, was mögliche Ausnahmen angeht. Dass das Kind einfach nur etwas älter geworden ist, entspricht eher nicht den erwähnten Bedingungen.

Ich bin mir sicher, dass Gesetze auch für die Pflegekassen gelten. Trotzdem ignorieren sie dieses Gesetz umfassend. Auf einen freundlichen Anruf bei unserer zuständigen Pflegekasse hin, wurde uns klar und deutlich gesagt, dass momentan reihenweise Kinder einer Wiederbegutachtung unterzogen werden. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen aus der Selbsthilfe. Ich erkenne dahinter eindeutig ein System. Es ist generell schon nicht häufig, dass einem autistischen Kind tatsächlich im ersten Versuch ohne Widerspruch eine ausreichend hohe Pflegestufe zuerkannt wird, die den tatsächlichen Hilfebedarf berücksichtigt. Bei Wiederbegutachtung wird regelmäßig erstmal pauschal runter gestuft. Auch da kann (und sollte) man auf jeden Fall Widerspruch einlegen. Oft wird dann doch wieder die höhere Pflegestufe gewährt. In den letzten Monaten ist das besonders auffällig. Da werden Kinder, die vor 2 Jahren Pflegestufe 2 mit eingeschränkter Alltagskompetenz zuerkannt bekamen, plötzlich auf Pflegestufe 0 oder Pflegestufe 1 ohne eingeschränkte Alltagskompetenz zurück gestuft. Obwohl sich am Hilfebedarf real kaum etwas geändert hat. Oder die Zeiten gar noch höher ausfallen, weil durch das steigende Alter des Kindes ja auch die pauschalen Abzugszeiten geringer werden. Da wollen die Kassen wohl eher kräftig sparen. Auf Kosten der Schwächsten. Vor allem jetzt in Hinblick auf die zukünftigen Pflegegrade und den dort verankerten Bestandsschutz.

Ich halte das für einen echten Skandal. Wie viele Eltern werden sich wohl gar nicht erst gegen diese Praxis wehren? Weil sie die Gesetzeslage nicht kennen oder nicht den Mut und die Kraft haben, sich gegen die Krankenkassen zur Wehr zu setzen? Wir jedenfalls werden kämpfen. Nachdem wir am Telefon keine befriedigende Antwort erhalten haben, haben wir um schriftliche Stellungnahme der Kasse gebeten, auf welche Gesetzesgrundlage sie sich denn stützen. Das Ganze haben wir nicht nur telefonisch sondern auch schriftlich gefordert. Jetzt heißt es abwarten.

Ich bin stinksauer. Als Elternteil eines behinderten Kindes habe ich ohnehin schon viele Dinge um die Ohren, von denen ich vor 9 Jahren nicht mal wusste, dass sie existieren. Ich könnte mit meiner begrenzten Zeit deutlich Sinnvolleres anfangen als mich auch noch unnötig mit Krankenkassen zu streiten. Und es gibt wahrlich schönere Hobbies als Paragraphen und Gesetzestexte, versorgungsmedizinische Richtlinien und Fachliteratur zu wälzen um Paul zu seinem Recht zu verhelfen.

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