Eltern versus Selbstvertreter?

In den letzten Tagen geht es auf Twitter heiß her. Alles begann recht harmlos mit diesem Tweet:

Auf interessierte Nachfrage, ob denn auch behinderte Menschen dabei gewesen wären, dauerte es eine ganze Weile und einige weitere Tweets, ehe Herr Schummer mit der Antwort rausrückte. Nein, Menschen mit Behinderung waren nicht anwesend, aber „Praktiker“. Ich halte das für diskussionswürdig. Und nicht nur ich. Herr Schummer wiederum fühlte sich angegriffen und antwortete:

Autsch. Aus dem Fettnäpfchen direkt in die Altöltonne gesprungen. Da Herr Schummer die ihn kritisierenden Menschen mit Behinderung auch gleich mal blockte, entlud sich die Empörung in verschiedenen Tweets unterschiedlicher Personen auf Twitter. Absolut verständlich, mir stand auch der Mund offen, als ich das las.

Im Lauf der Diskussion fühlten sich dann aber aus irgendwelchen mir nicht nachvollziehbaren Gründen plötzlich Eltern behinderter Kinder angegriffen. Die dann wiederum heftig die Selbstvertreter und Aktivisten angingen. Teilweise mit Formulierungen aus der untersten Schublade. Deshalb möchte ich als Elternteil eines behinderten Kindes jetzt ganz klar Stellung beziehen.

Zur Erinnerung: Das Thema war „Teilhabe behinderter Menschen an der Arbeitswelt“.
Wir reden hier also von Erwachsenen. Nicht über Inklusion in Kindergarten oder Schule, wo natürlich Eltern ein ganz großes Mitspracherecht haben müssen, weil sie eben Sorgeberechtigte sind. Wobei ich auch bei dem Thema oft genug mit den Zähnen knirsche, weil es leider Eltern gibt, die nicht aktiv für die Rechte ihres Kindes eintreten sondern eigene Interessen verfolgen. Aber das möchte ich jetzt nicht vertiefen. Vielleicht ein andermal.

Menschen mit Behinderung fordern zu Recht immer lauter und nachdrücklicher „Nichts über uns ohne uns“. Und sie kritisieren zu Recht die immer noch gängige Praxis, dass zwar alle möglichen Leute zu solchen Veranstaltungen eingeladen werden, aber keine Selbstvertreter sondern Menschen, die in Einrichtungen arbeiten oder Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, die selbst aber nicht behindert sind. Und mir will absolut nicht in den Kopf gehen, warum bei einem Fachgespräch zur Teilhabe an der Arbeitswelt Elternvertreter geladen waren. Ich frage doch auch nicht meine Eltern, bei welchem Arbeitgeber ich demnächst eine Bewerbung abgebe. Und schicke nicht meine Eltern zum Chef, wenn ich Urlaub beantrage oder eine Gehaltserhöhung möchte. Das ist doch absurd.

Und nein, ich als Elternteil maße mir nicht an, jetzt schon sicher sein zu können, welche Bedürfnisse mein Sohn hat, wenn er irgendwann die Schule abgeschlossen hat und es für ihn in die Arbeitswelt geht. Wieso sollte ich mich also persönlich angegriffen fühlen, wenn Selbstvertreter behinderter Menschen für sich selbst sprechen wollen und nicht ihre Eltern sprechen lassen wollen? In einer idealen Welt würden zwar die Eltern durchaus die Interessen ihres dann erwachsenen Kindes vertreten, aber die Realität zeigt, dass es häufig nicht so ist.

Nein, Herr Schummer, ich als Elternteil bin nicht betroffen im Sinne Ihrer Frage. Ich bin Elternteil eines behinderten Kindes und daher auch engagiert. Um für mein Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber ich setze mich dafür ein, dass man auf die wahren Experten für die Bedürfnisse behinderter Menschen hört: Sie selbst.

Ich spreche für meinen Sohn, solange er das selbst nicht kann. Aber ich erwarte, dass er als Erwachsener nicht von irgendwelchen wohlmeinenden Fürsprechern bevormundet wird sondern dass man ihm zuhört. Nicht mehr und nicht weniger fordert auch die UN-Behindertenrechtskonvention. Weg von der Fürsorge hin zur selbstbestimmten Teilhabe. Meine Aufgabe als Elternteil ist es, meinen Sohn so gut es eben geht dazu zu befähigen, sich selbst zu vertreten. Dazu gehört auch, dass ich jetzt den erwachsenen Menschen mit Behinderung zuhöre und ihnen nicht den Mund verbiete, weil sie vielleicht Dinge sagen, die mir nicht gefallen. Von ihnen kann man viel lernen.

Ich sehe mich auch in zwei Rollen. Ich bin zum einen die Vertreterin meines Sohnes. Als solche habe ich die Aufgabe, seine Rechte zu vertreten. Und ich bin Mutter eines behinderten Kindes. In dieser Rolle kämpfe ich unter anderem auch für die Interessen pflegender Angehöriger. Das ist aber überhaupt kein Widerspruch. Im Gegenteil, das ergänzt sich ganz wunderbar. Wir Eltern müssen lernen loszulassen. Das gilt gerade auch bei behinderten Kindern.

Um auf die Überschrift zurückzukommen: In meinem Fall heißt es eben nicht „Eltern versus Selbstvertreter“ sondern „Eltern Seite an Seite mit den Selbstvertretern“. So lässt sich sehr viel mehr erreichen.

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