Autismus – Verdacht – Diagnostik ? Gastbeitrag

von Anitaworks

Autismus – Verdacht – Diagnostik ? Wie sieht es damit für mich aus ….

Tja, ich bin Mutter von vier autistischen Kindern. Der Diagnoseweg für unsere Kinder war sehr lang und sehr nervenaufreibend.

Das werden wohl viele Eltern von Asperger bzw. atypischen Autisten bestätigen können. Vor allem, wenn die Kinder „gut“ kompensieren können.

Zudem ist es sehr schwierig, im Kinder- und Jugendbereich auf Diagnostiker zu treffen, die in die Tiefe gehen wollen und bereit sind; Zeit in die Kinder zu investieren.

Bis der Diagnostikprozess für alle Kinder abgeschlossen war, haben wir insgesamt 5,5 Jahre Zeit investiert. Jetzt fragen sich evtl. einige, warum dies so lange gedauert hat.

Einerseits lag der Fokus zuerst auf dem Kind, wo die massivsten Probleme bestanden und zum anderen gibt es diese enormen Wartezeiten auf allen Ebenen.

Auch haben wir das Problem, dass unsere Tage leider nur 24 Stunden zur Verfügung stellen und dadurch sich auch sehr vieles in die Länge zog.

Aber der Verdacht, dass auch mit mir was „nicht stimmt“ besteht seit dem Tag, als unser Ältester diagnostiziert wurde.

Weil – meine Kinder sind mir so unwahrscheinlich ähnlich!!

Ich erkenne mich wieder. Ich erlebe quasi meine gesamte Kindheit noch einmal. Und dies nicht im positiven Sinn.

Denn es passieren dieselben Dinge, wie mir damals.

Und zwar OHNE, dass ich den Kindern etwas darüber berichtet hätte. Und das ist mir wichtig (denn mir wurde schon „Übertragung“ unterstellt).

Wobei, dazu müsste ich ja den Mitschülern meiner Kinder erklärt haben, wie man meine Kinder am besten „vor die Wand laufen“ (RW) lassen kann. Sarkasmus

Aber das ist hier wohl eher unwichtig.

Fest steht, die Kinder sind einwandfrei diagnostiziert. Der Älteste war zum Diagnosezeitpunkt 13,5 Jahre alt. Bis dahin hat er viel über Kompensation im „Außen“ unterdrücken können, so dass er nicht „auffiel“.

Mit der Diagnose und der schwierigen Beschulung haben wir Hilfen beantragt. Diese laufen über das Jugendamt. Und das erste, was man als Eltern dort lernt

  • Sei nicht auffällig, denn sonst unterstellt man Dir Erziehungsunfähigkeit

Also habe ich eine Diagnostik meiner Person immer sehr weit von mir geschoben.

Im Rahmen der systemischen Familientherapie haben die Autismus erfahrenen Therapeuten einige Male den Verdacht geäußert, dass ich Autistin sein könnte. Zu dem Zeitpunkt lebte nur noch meine Mutter. Also wurde mit den Bögen für die Kinder- und Jugenddiagnostik der Versuch gestartet diesen Verdacht zur erhärten bzw. aus dem Weg zu räumen.

Nun war meine Mutter (Jahrgang 1939) sehr „vorsichtig“. Tief verhaftet in ihrem Bewusstsein war, dass was psychisches / seelisches etwas ist, dass man „nicht nach außen“ trägt. Also, dass man den Mund hält, wenn da was nicht stimmt.

Denn sie hat es noch erlebt, was es heißt in einem rigiden System nicht auffallen zu dürfen. Das war sozusagen tief in ihrem Gehirn (Wissen) „eingebrannt“.

Auch waren für sie viele Dinge vollkommen normal. Auf einem Bauernhof aufgewachsen waren feste Strukturen und Rituale ihr persönlicher Lebensweg, welche sie bis zum Tode für sich selber festschrieb.

Was ich an eigenen Strukturen oder Ritualen hatte, welche nicht ins Familiensystem passten, wurde mir durch massive Strenge aberzogen. Wie es halt für Kinder in den 60er Jahren geboren, fast schon üblich war.

Oder, wie es ein anderer Vater mal sagte: „man hat mir den Autismus ausgeprügelt“.

Also ergab sich ein Wert knapp unter dem Cut-Off.

Auffällig ja, aber nicht diagnosewürdig.

Auch der Versuch, in ein Diagnosezentrum für Erwachsene zu kommen gestaltet sich schwierig. Denn dazu benötige ich eine Überweisung. Zwar wurde mir eine Depression attestiert, aber Autismus hielt die Ärztin für unwahrscheinlich. Ob es nun daran liegt, dass ich zu dem Zeitpunkt relativ „ruhig“ war, oder daran dass ich einen Arztbesuch als was „geschäftliches“ betrachte (also zu 100% kontrolliert in solch ein Gespräche gehe) oder an der Unkenntnis über Autismus bei dieser Ärztin, ich habe nicht die leiseste Ahnung.

Jedenfalls bekam ich keine Überweisung. Und damit ist der Weg in das Zentrum verbaut.

Denn – ich habe schlicht und ergreifend keine Zeit. Keine Zeit und vor allem keine Nerven, alle Psychiater hier in der Umgegend abzutelefonieren, um überhaupt einen Termin zu bekommen – nur um festzustellen, dass diese Autismus bei Erwachsenen als „nicht gegeben betrachten“ (allgemein gesprochen), außer es liegt eine geistige Behinderung vor.

Nach ungefähr 40 Telefonaten habe ich schlicht und ergreifend aufgegeben.

Meine Kinder gehen vor. Deren Beschulung und Therapie muss gewährleistet sein. Dafür benötige ich alle Kraft, die ich noch habe.

So lebe ich also mit einem Verdacht (und dieser ist relativ massiv) – den ich wohl nie bestätigt bekommen werde – und versuche meinen Kindern einen Weg in die Zukunft zu ermöglichen.

Es kam die Frage auf, ob Menschen im Bereich Autismus sich aktiv einsetzen können, wenn sie keine Diagnose haben.

Für mich kann ich die Frage so beantworten:

Aktiv sein bedeutet eins – sich vielfältiges Wissen anzueignen. Sich eingehend mit der Thematik auseinanderzusetzen. Und nicht nur plakativ irgendeine Meinung zu vertreten, ohne ein gewisses Maß an Überblick, was es für Auswirkungen für alle hat. Seine eigene Meinung sollte man auch immer als solche kennzeichnen. Und nicht einfach Behauptungen aufstellen, die man nicht belegen kann, oder die nur auf der Lektüre eines einzigen Buches basieren.

Ich bin Mutter autistischer Kinder, ich bin Aktivistin unter genau dieser Prämisse.

Es geht um ihre Zukunft.

Und ich hoffe, dass ich damit den erwachsenen Autisten eine Hilfe sein kann.

Eine Diagnostik werde ich eventuell noch einmal anstreben, wobei ich für Außenstehende wohl nur in einem akuten Zusammenbruch erkennbar werden könnte. Diese Art des Zusammenbruches muss ich allerdings, wenn eben möglich, versuchen zu vermeiden. Denn dadurch wäre auch die Zukunft meiner Kinder negativ belastet, da wir noch auf Jahre mit Ämtern zu tun haben werden.

Auch das ist etwas, für dass ich mich sehr einsetze. Autistische Eltern wissen sehr genau, was gut für ihre Kinder ist und sind durchaus in der Lage diese gut und fürsorglich zu versorgen. Dem Stigma, das autistische Eltern kein Vorbild für ihre Kinder sind, gilt es massiv entgegen zu wirken.