Liebe Mütter, ihr seid nicht schuld

Ihr seid nicht schuld am Autismus eurer Kinder. Lasst euch da bloß nichts einreden. Es gibt eine Menge Menschen da draußen, die allen möglichen Blödsinn erzählen, was angeblich Autismus auslösen würde. Die einen, weil sie es nicht besser wissen. Die anderen (und die sind deutlich schlimmer), wollen euch das Geld aus der Tasche ziehen.

Ich möchte hier mal mit einigen gängigen Aussagen aufräumen. Fangen wir mit dem wohl ältesten Vorurteil an:

„Du hast deinem Kind zu wenig Liebe gegeben, zu wenig gekuschelt, dich zu wenig gekümmert. Du bist eine Kühlschrankmutter.“

Leo Kanner, der 1943 frühkindlichen Autismus beschrieb, hielt es für möglich, dass Autismus durch zu wenig mütterliche Zuneigung ausgelöst würde. Richtig populär wurde diese Theorie durch Bruno Bettelheim in den 1960er Jahren. Allerdings ist seit Anfang der 1980er Jahre diese These widerlegt.

Kommen wir zur wohl am weitesten verbreiteten Bullshit-Aussage.

„Hättest du dein Kind bloß nicht impfen lassen. Die Impfung hat den Autismus ausgelöst.“

Falsch. Diese Theorie wurde inzwischen so oft untersucht, dass ganz sicher ist, dass diese Aussage nicht stimmt. Es gibt über hundert Studien, die einen angeblichen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus widerlegen. Die Theorie geht auf Andrew Wakefield zurück, der aus finanziellem Eigennutz die MMR-Impfung diskreditieren wollte, weil er seinen eigenen Masernimpfstoff vermarkten wollte. Außerdem bekam er Bestechungsgelder von Anwälten, die für ihre Mandanten hohe Entschädigungen erreichen wollten, weil deren Kinder autistisch waren. Sie wollten schlicht Kapital aus ihren Kindern schlagen und hatten in Wakefield einen skrupellosen Verbündeten. Er schreckte nicht davor zurück, Kindern, die Gäste auf dem Geburtstag seines Sohnes waren, Blut abzunehmen.

Nicht ganz so verbreitet ist die nächste Aussage.

„Du gibst deinem Kind das falsche Essen. Gluten und Milchprodukte lösen Autismus aus. Mit der richtigen Ernährung kannst du den Autismus heilen“

Diejenigen, die das verbreiten, haben es entweder selbst nur irgendwo aufgeschnappt oder verdienen kräftig am Verkauf diverser Diätratgeber und Nahrungsergänzungsmittel. Nichts davon ist wahr. Autismus sitzt nicht im Darm, wie sie es behaupten. Ich schrieb auch schon darüber.

„Du hast in der Schwangerschaft Antiobiotika/Paracetamol/Antidepressiva genommen. Deswegen ist dein Kind autistisch.“

Solche Schlagzeilen tauchen immer mal wieder auf. Da werden Studien hochgejubelt, die meist selbst darauf hinweisen, dass es zwar möglicherweise einen Zusammenhang geben könnte, man dies aber genauer untersuchen müsse. Passiert dies, dann sind die obigen Aussagen komplett haltlos. Leider schaffen es die weitergehenden Studien dann nicht mehr in die Schlagzeilen und so glauben viele weiter an einen Zusammenhang.

„Du hast dein Kind nicht lange genug gestillt. Deswegen ist es Autist.“

Das ist eine Mischung verschiedener Theorien. Eine Prise Kühlschrankmutter, ein wenig Darmgeschwurbel, etwas Ernährung. Zutreffend ist es nicht.

„Du hast dein Kind falsch erzogen. Deswegen ist es so geworden.“

Je nachdem, an wen man gerät, wird falsche Erziehung wahlweise als zu weich oder zu streng ausgelegt. Beides ist Blödsinn. Eine Autismusdiagnose wird nicht gestellt, weil ein Kind zu sehr verwöhnt oder zu streng reguliert wird, dazu gehört schon deutlich mehr.

Liebe Mütter, lasst euch davon nicht entmutigen. Euer Kind wurde als Autist geboren, es wird als Autist sterben. Ihr könnt nichts dafür. Aber ihr könnt euren Kindern helfen. An dieser Stelle greife ich auf ein Zitat von Mela Eckenfels zurück. Sie drückt genau das aus, worum es mir geht.

„Wie einschränkend Autismus ist, hängt nicht zuletzt vom Umfeld des Autisten ab. Nämlich davon, ob das Umfeld alles tut, um den Autismus zu bekämpfen und zu verstecken, oder ob es den Autisten unterstützt und hilft, der bestmögliche Autist zu sein, der er sein kann.“ (Quelle)

Wenn euch jemand etwas anderes erzählt, klärt ihn auf, dass er sich irrt. Wenn ihr Lust habt. Oder lacht ihn aus. Lasst ihn stehen. Was euren Nerven in dem Moment gut tut.

Nicht die Behinderung belastet mich…

sondern das ganze Drumherum. Paul ist behindert. Laut Definition sogar mehrfachbehindert. Dafür gibt es regelmäßig ungewolltes Mitleid von Außenstehenden. Dabei ist gar nicht Paul das Problem. Klar beeinflussen Autismus und Co. unser Familienleben. Aber das, was mich wirklich schlaucht und so unendlich nervt, ist der endlose Papierkrieg.

Von wegen „Sobald die Diagnose steht, gibt es Hilfe“. Ich lache mal bitter. Nichts gibt es. Zumindest nicht, wenn man sich nicht dem bürokratischen Irrsinn stellt. Los geht es mit der Beantragung einer Pflegestufe bzw. inzwischen heißt es ja Pflegegrad (was übrigens auch ohne Diagnose schon geht und wozu ich den Eltern prinzipiell raten möchte). Die Pflegestufe ist im Vergleich zu fast allen anderen Dingen dann tatsächlich auch sowas wie „Bürokratie für Einsteiger“. Zum warm machen. Der Antrag kann formlos bei der Krankenkasse eingereicht werden. Dann findet eine Begutachtung vom medizinischen Dienst der Krankenkassen (kurz MDK) zu Hause statt. Und wenn man Glück hat, klappt es gleich auf Anhieb mit einer halbwegs gerechten Einstufung. Wenn man Pech hat, geht da der Wahnsinn schon los. Widerspruch einlegen, Begründung schreiben, neuer Begutachtungstermin und eventuell klagen. Dieses Prozedere wiederholt sich bei jedem einzelnen Hilfsmittel, was man beantragen möchte. Mit ganz viel Glück wird zwischendurch mal eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen.

Weiter geht es mit dem Schwerbehindertenausweis samt Merkzeichen. Wenn mal wieder jemand kommt und „Ach, den kriegt man doch schon für jedes kleine Wehwehchen“ sagt, dann könnte es sein, dass ich einen Mord begehe. Paul hat auch im Widerspruchsverfahren und bei erneuter Prüfung nur einen Grad der Behinderung von 50 zuerkannt bekommen und das Merkzeichen H. Kein B kein G. Obwohl das Merkzeichen H (hilflos) eigentlich das B (Begleitung) bedingt, wehrt sich unser zuständiges Versorgungsamt mit aller Kraft dagegen. Da es tatsächlich für uns im Alltag keinen allzu großen Unterschied macht, ob dieses B nun da steht oder nicht, haben wir auf eine Klage bisher immer verzichtet. Ich brauche meine Kraft anderweitig. Wer allerdings kein Auto hat und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, für den ist der zähneknirschende Verzicht keine Option.

Mein persönlicher Endgegner beim Antragsmarathon ist allerdings die Eingliederungshilfe. Für Paul ist wegen der Mehrfachbehinderung das Sozialamt zuständig, zumindest das Zuständigkeitsgerangel der Ämter, das mitunter Monate kostet, blieb uns erspart. Paul bekommt Autismustherapie und Schulbegleitung über die Eingliederungshilfe finanziert. Jetzt stellt man da nicht etwa einen bzw. zwei (für jede Maßnahme am besten separat) Anträge und bei Bewilligung ist dann lange Zeit Ruhe. Nein, ganz falsch gedacht. Selbst wenn das zuständige Amt auf schikanöse Maßnahmen wie andauerndes Einfordern (fach)ärztlicher Atteste, die nicht älter als 3 Monate sein dürfen, oder regelmäßige neue ausführliche Diagnostiken verzichtet, muss man sich quasi ständig für die Hilfe rechtfertigen. Dies erfolgt durch Hilfeplangespräche und aktuelle Stellungnahmen von Lehrern, Schule, Schulbegleiter und Therapeuten. Teilweise finden Hilfeplangespräche in vierteljährlichem Abstand statt, da geht es uns mit halbjährlichem Abstand fast noch gut. Ein Hilfeplangespräch alleine bedingt aber noch keine Weiterbewilligung der laufenden Hilfen. Deshalb bin ich dazu übergegangen, immer fristgerecht die Anträge auf Weiterbewilligung für das nächste Halbjahr (Autismustherapie) bzw. das nächste Schuljahr (Schulbegleitung) schriftlich per Einschreiben mit Rückschein zu versenden. Fristgerecht bedeutet 3 Monate vor Ablauf. Diese 3 Monate kann sich das Amt nämlich maximal Zeit lassen für einen Bescheid. Es gibt Ämter, die diesen Spielraum komplett ausnutzen, was dazu führt, dass manche Kinder von den Sommerferien bis zu den Herbstferien regelmäßig ohne Schulbegleitung da stehen, obwohl klar ist, dass sie ohne diese Hilfe nicht vernünftig beschult werden können. Um uns das zu ersparen, schreibe ich die Anträge schon im April. Damit es im August dann hoffentlich reibungslos für Paul weitergehen kann.

Auch das ist aber noch nicht alles. Zwischendurch kommen dann noch kleinere Anträge wie Behindertenfahrdienst oder Nachteilsausgleiche. Obwohl, was bedeutet „kleinere“ in diesem Zusammenhang. Der Fahrdienst wurde erst nach einer sehr deutlichen Stellungnahme des Amtsarztes bewilligt. Dafür ging auch ein Schultag verloren, weil die Begutachtung durch das Amt angeordnet wurde. Und über die Nachteilsausgleiche und unseren Kampf mit der Schule könnte ich ganze Bücher schreiben. Deswegen gehe ich hier nicht näher darauf ein, das wird mal wieder ein gesonderter Beitrag.

Im letzten Jahr haben wir dann noch mit der Pflegekasse gekämpft, weil sie unbedingt (und entgegen der Gesetzeslage) neu begutachten wollten, ob die Pflegestufe noch angemessen ist. Da die Begutachtung des MDK zu unseren Gunsten ausfiel, haben wir gegen die regelwidrige Begutachtung keine drastischeren Schritte unternommen. Aber auch so kostete uns das viel Zeit und Nerven, mehrere Telefonate und diverse Briefe.
Das Versorgungsamt führte eine Nachprüfung durch, es hätte ja sein können, dass Paul eine spontane Wunderheilung erlebt hat und auch nicht mehr autistisch ist. Dies zog sich trotz umfassender Mitarbeit unsererseits ebenfalls über 5 Monate hin.
Seit Januar versuchen wir jetzt eine Dauerverordnung für Ergotherapie zu bekommen. Es gibt bei bestimmten Behinderungen (Autismus gehört dazu, genau wie die Extremfrühgeburt) ein vereinfachtes Bewilligungsverfahren. Vereinfacht. Haha. Wir schrieben einen formlosen Antrag. Die Kasse forderte eine Stellungnahme der Kinderärztin. Die wiederum ist der Meinung, wir sollten uns doch endlich mal mit Pauls Behinderung arrangieren und akzeptieren, dass er nicht alles kann. Sie gab uns nur eine Kopie der letzten Ergoverordnung mit. Wir brauchen aber eine medizinische Begründung, warum Ergotherapie sinnvoll ist. Wir schicken jetzt erstmal die Verordnung. Und vermutlich werden wir nach der Ablehnung dann ins SPZ müssen, damit wir dort die entsprechende ärztliche Stellungnahme für die Krankenkasse bekommen.

Und all das läuft neben dem ganz normalen familiären Alltag. Neben den wöchentlichen Therapieterminen. Zusätzlich zu allem anderem. Und das raubt Kraft und Zeit. Dinge, die an anderen Stellen viel sinnvoller eingesetzt werden könnten.

Vaxxed – Eine echte Katastrophe

Trotz aller Proteste gibt es Kinos, die diesen Film zeigen. Und leider wird er immer noch nicht als fiktive Story deklariert sondern als eine Art Dokumentation. Es gab inzwischen einige Vorstellungen und jetzt tritt genau das ein, was ich von Anfang an befürchtet habe. Scharenweise verunsicherte Eltern. Eltern, die ihre Kinder „auf gar keinen Fall“ impfen lasen wollen, weil der Film doch eindeutig bestätigt, dass dieser „schreckliche Autismus“ von der MMR-Impfung ausgelöst wird. Und diese „armen Kinder, die durch die MMR-Impfung das Gehen verlernten und im Raum herumtorkelten“ sind ja wirklich abschreckend genug. Nachfragen, was torkelnde Kinder denn mit Autismus zu tun haben, verhallen ungehört und unbeantwortet. Auf den entsprechenden Facebookseiten zu „Vaxxed“ werden Autisten und Eltern autistischer Kinder, die dagegen argumentieren, massiv angefeindet, beleidigt und reihenweise gesperrt. Genau wie auf den Seiten mancher Kinobetreiber. Alle sachlichen Erklärungsansätze werden konsequent ignoriert. Ich mache mir hier gar nicht die Mühe all die guten und zahlreichen Argumente, warum der Film nicht das ist, was er zu sein vorgibt, nochmals zu wiederholen. Das wurde an vielen anderen Stellen ausführlich getan.
Hier eine Einstiegshilfe:

https://keineahnungvongarnix.com/?s=Vaxxed

Vaxxed – die Zelluloid gewordene Stigmatisierung

Ich als Mutter fühle mich gerade durchaus hilflos. Mitten in Deutschland sterben Menschen an Masern. Und Wakefield zieht mit seinem Machwerk durch die Lande und sorgt dafür, dass noch mehr Unschuldige durch Masern, Mumps oder Röteln gefährdet werden. Wie viele Menschen müssen noch sterben?

Und es ist verletzend, dass Impfgegner und auch Wakefield allesamt keine Ahnung von Autismus haben, aber davor so eine Panik verbreiten, dass Eltern lieber den Tod ihres Kindes oder die schweren Folgeschäden impfpräventabler Krankheiten in Kauf nehmen. Obwohl es keinen, absolut keinen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Autismus gibt. Nein, immer noch nicht. Nein, es wurde auch nicht von der CDC vertuscht.

Ich verweise an dieser Stelle wieder auf meinen Rant. Nicht nur Impfgegner, auch Wakefield himself missbrauchen mein Kind zur Panikmache. Ja, es ist Missbrauch. Psychischer Missbrauch.

Impfgegner, hört auf mein Kind zu missbrauchen!