ABA – Bericht eines „Klienten“

Wobei Klient in diesem Zusammenhang wirklich extrem zynisch klingt, Opfer wäre wohl die bessere Wortwahl.

Den folgenden Bericht habe ich für die Facebookseite ABA und andere Therapien – Wir klären auf übersetzt. Da er aber so weit wie möglich verbreitet werden sollte, damit sich auch wirklich niemand mehr in Ausreden und typische ABA-Rhetorik flüchten kann, veröffentliche ich die Übersetzung auch hier.

Der Originalbeitrag stammt von der Facebookseite von Amethyst Schaber.
Link zur Quelle:

https://www.facebook.com/notes/amythest-schaber/then-we-did-it-again-and-again-and-again/1632106577053627

Hier die vollständige Übersetzung inklusive der einleitenden Worte von Amethyst Schaber:

 

Dann haben wir es wieder getan. Und wieder. Und wieder.

Das Folgende ist der wahre Bericht eines Siebzehnjährigen über seine Erfahrungen mit der Angewandten Verhaltensanalyse oder ABA, auch bekannt als Verhaltensmodifizierung, Gehorsamkeitsausbildung oder Umwandlungstherapie. Dieses Zeugnis ist wichtig und muss geteilt werden, weil es aus der Sichtweise von der autistischen Person stammt, die mit ABA behandelt wurde, dem „Klienten“.

Berichte aus der Innensicht wie dieser sind stark. Sie sind es, die die Misshandlung und den Missbrauch ans Licht bringen. Es sind die Geschichten von Überlebenden, die aufklären, uns lehren und hoffentlich die Wirkung haben, etwas zu ändern. Erfahrungsberichte wie dieser sind wichtig für die Behindertenrechtsbewegung, aber wenn Überlebende laut sprechen, werden ihre Geschichten zu häufig unterdrückt oder von denjenigen bezweifelt, die diese Therapien anbieten und von diesen Systemen des medizinisch sanktionierten Missbrauchs profitieren. Diese Überlebenden müssen geschützt werden, und ihre Erfahrungen so viel wie möglich geteilt.

Ich habe die Grammatik oder Rechtschreibung nicht editiert, und der Inhalt ist genau so, wie es mir zuerst präsentiert wurde, inklusive einiger Schimpfwörter. Der Autor wollte hier auch anonym bleiben, aber der ursprüngliche Inhalt ist als Reblogg auch auf meinem Blog zu finden. (Blog von Amethyst Schaber A.d.Ü.) Zu guter Letzt lebt der Autor noch mit dem Elternteil zusammen, der ihn den ABA Sitzungen unterworfen hat, die auch weiterhin andauern.

Massive Triggerwarnung für: Institutionalisierter Ableismus, medizinischer Missbrauch, Selbstbeherrschung, Kindesmisshandlung, Folter, antiautistischer Ableismus, „ruhige Hände“, emotionaler und psychologischer Missbrauch, Manipulation, Gehorsamkeitsausbildung, gewaltsamer Ableismus, Verletzung.

„ABA Sitzung 1 Niederschrift

Sie haben allein mit meiner Mutter gesprochen. Sie reichten ihr einen Fragebogen mit meinen Gesundheitsdetails und Daten darauf. Sie fragten nicht mich, sie stellten Fragen an sie wie, “Und hat der Patient heute gegessen?” und “Wie ist das Kind mit dem Körperkontakt?” “Wie ist er mit dem Augenkontakt?” “Wie sieht es mit seiner Sprache aus?”

Das Ganze ungeachtet der Tatsache dass, als wir hereingegangen sind, ich ziellos angefangen habe, mit einem 12 oder 13 jährigen Autisten zu plaudern, der neben uns saß, und die Person, die Mutter interviewte, klar hören konnte, dass meine Sprache gut war. Sie haben den Verhaltensplan mit ihr abgestimmt, nicht mit mir, Verhalten, welches ausgerottet werden soll und so.

Nach diesen einleitenden Fragen wurden wir in eines der Therapiezimmer mitgenommen. Sie haben uns hingesetzt und haben eingehend Fragen über meine Interessen und Gewohnheiten gestellt. Sie stellten diese größtenteils an die Mama, den Dingen wie “Wie oft am Tag tut er [Ding]?” Als Mama gesagt hat, dass ich im Internat bin, so dass es besser sei mich zu fragen, haben sie angefangen, mit mir etwas mehr zu sprechen. Sie haben gefragt, wie meine Lieblings-TV-Shows waren, was ich gern mit meiner Freizeit tat, was meine Lieblings-Nahrungsmittel, Süßigkeiten, Getränke, usw. waren.

Sie haben mich nach der Schule gefragt, was ich studierte, und ob ich mich für Uni usw. interessierte. Sie haben schnell festgestellt, dass ich liebe zu lesen und herausgefunden habe, dass mein größtes spezielles Interesse Dichtung des 20. Jahrhunderts ist. Mama hatte ihnen das vorher erzählt. Ich habe erklärt, dass ich viel für meine Unibewerbung lesen muss, und dass ich viel über einen Bereich der Literatur wissen musste, und dass 20. Jahrhundert-Dichtung der Bereich ist, den ich am meisten liebe zu forschen.

Sie legten dann die Verstärker fest, die sie verwenden würden. Sie haben von mir mein Telefon weggenommen. Sie haben Mama beauftragt, zur folgenden Sitzung jedes einzelne meiner Dichtungsbücher mitzubringen und mir keine mehr zu kaufen. Sie haben Mama gesagt, dass mir „Magic Stars“ (Süßigkeit A.d.Ü.) nicht erlaubt wurden (ich werde gewöhnt..) außerhalb der Sitzungen, haben meine Harry Potter Bücher genommen, haben Mama gesagt, dass mir nicht erlaubt sei, Hannibal außerhalb eines Zusammenhangs als Verstärker zu sehen, haben versucht, mir meine Musik zu nehmen, aber ich habe gesagt, dass das unmöglich war, weil es alles in der Cloud ist, so dass ich im Stande sei, darauf zuzugreifen, egal was sei.

Als sie gesagt haben, dass mir nicht erlaubt würde, Dichtung zu lesen, flippte ich verdammt aus. Ich habe gesagt, dass ich sie für Uni Anwendungen habe, und sie haben gesagt „Gut, dann benimm dich besser” und meine Mama aus dem Zimmer geschickt, so dass sie mit mir arbeiten konnten. An diesem Punkt kamen zwei andere Therapeuten herein, also gab es 4 von ihnen und 1 von mir. Sie nahmen mir die Bücher weg, die Mama mich hat mitbringen lassen, auch das was ich in meinem Elternhaus für die Ferien hatte. Das hat meine Sammlung der Dichtung von Auden eingeschlossen, an der mein Herz und Seele hängt, mein Larkin und mein Ginsberg. Meine Lieblingsdichter.

An diesem Punkt bin ich in Panik geraten. Ich habe angefangen, wie ein Verrückter zu stimmen, meine Hände auf den Seiten meines Kopfs reibend, um zu versuchen, mich zu beruhigen und das Summen in meinem Kopf zu stoppen, das aus der Panik kam, von meinem Selbst getrennt zu werden. Fehler Nummer 1. Sie haben mir gesagt aufzuhören, und ich habe nicht auf sie gehört. Fehler Nr. 2. Sie haben dann meine Hände körperlich genommen.

Dieser Schmerz, weil ich Körperkontakt mit Leuten nicht mag, zu denen ich kein sehr gutes Verhältnis habe, verursachte einen Meltdown, der sich wie Stromschläge anfühlte. Ich habe geschrien und habe angefangen, zu weinen und zu schreien, damit sie mich nicht berühren, verzweifelt versuchend, meine Hände aus ihrem Griff zu bekommen. Fehler Nr. 3. An diesem Punkt hielten zwei von ihnen mich fest, einer an jedem Arm. Als ich versucht habe loszukommen, haben die anderen zwei mich im Wesentlichen zum Boden gerungen, zwangen mich auf die Knie, dann mich auf meinen Rücken zu legen. So hielten sie m,ich fest, während ich schrie und schrie und versuchte los zu kommen.

Drei Männer und eine Frau, die meinen Kopf runterdrückte, so konnte ich nicht ihn von Seite zu Seite werfen oder in auf den (ein bisschen ausgepolsterten, wie auf Kinderspielplätzen) Fußboden knallen. Ich weiß nicht, wie lange sie mich so gehalten haben, aber es war, bis ich so viel geschrien und so viel gekämpft hatte, dass ich erschöpft zusammenbrach und an diesem Punkt war …, wo ich weiterhin weinte und den Schmerz fühlte, aber unfähig war irgendetwas dagegen zu tun, weil meine Muskeln gerade nicht mehr reagierten. Es waren mindestens zwanzig Minuten.

An diesem Punkt sind sie von mir runter gegangen, und einer der Männer hat mich aufgehoben. Ich fühlte mich wie ein Zombie. Sie haben mich zu einem Tisch mit einem Stuhl auf beiden Seiten geführt, und ich habe mich auf einen von ihnen gesetzt. Sie haben mir einen Becher mit Wasser gegeben (die Art Becher wie bei Kleinkindern), und ehrlich war ich so erschöpft, dass es mir egal war und ich aus dem gottverdammten Kleinkindbecher getrunken habe. Die Frau, die die Sitzung führte, saß mir gegenüber und begann sehr gönnerhaft darüber zu sprechen, dass sie Wutanfälle nicht dulden. Ich konnte nicht wirklich hören, es ist ähnlich gewesen als ob ich im Inneren von einem Schwimmbad war. Ich denke, dass ich zustimmend genickt habe.

Sie haben dann einige Karteikarten mit Bildern darauf herausgeholt und haben mich sagen lassen, was ich sehe, ob ich gut sei, meine Sprache gut ist. Ich konnte mich kaum hören, Das Schwimmbadsyndrom und all dies, aber ich weiß, dass ich antwortete. Sobald sie begriffen haben, dass ich das konnte, haben sie Storyboards mit Bildern gebracht und haben mich die Geschichten erzählen lassen. Auch gut. Sie haben mir 15 Minuten mit meinem Telefon danach gegeben.

Dann haben sie angefangen mich zu trainieren, dass ich Augenkontakt auf den Befehl “Augen” hin zu halten. Sie haben versucht, das mit dem Essen als Belohnung zu tun, was nicht funktioniert hat, weil ich lieber auf etwas Schokolade verzichte als Augenkontakt für mehr als einen Moment zu halten. So hat die Frau mein Kinn ergriffen und hat mich gezwungen, ihr in die Augen zu schauen.

Ich habe unkontrollierbar angefangen, mit meinen Händen auf meine Knie zu trommeln, also haben sie “ruhige Hände!“ gesagt und meine Hände festgehalten, mit den Handflächen gegen den Schreibtisch gedrückt und zählten langsam bis drei. Ich habe sie dort gelassen, so lange ich gekonnt habe. Sie haben verschiedene Belohnungssysteme versucht, um zu veranlassen, dass ich in ihre Augen schauen würde, nichts hat funktioniert. Ich habe fortgesetzt, mit meinen Händen zu stimmen und nach den dritten “ruhigen Hände!” und Festhalte-Ritual, haben sie sie an den Armlehnen des Stuhles festgeschnallt, auf dem ich saß. Er hatte extra für diesen Zweck angebrachte Riemen.

Sie haben den gewünschten Augenkontakt erreicht, indem sie gesagt haben, dass, wenn ich ihn 3 Minuten halten könnte, sie mir 9 Minuten mit dem Auden geben würden, den sie mir weggenommen hatten, 4 Minuten Blickkontakt = 12 Minuten der Dichtung und so weiter. Ich habe Augenkontakt gehalten, bis ich geweint habe, mein Kopf nach unten hängend, meine Augen fest geschlossen, am Stuhl festgeschnallte Hände. Sie ließen mich so sitzen bis ich aufgehört habe zu weinen, gaben mir dann das Buch (ich hatte geschafft, sie auf 15 Minuten hochzuhandeln). Dann haben wir es wieder getan. Und wieder. Und wieder.

Danach haben sie mit Körperkontakttraining angefangen. Händedrucke zuerst, ich hielt 3 aus, bevor ich angefangen habe, gleichzeitig mit der anderen Hand zu stimmen. Sie haben “ruhige Hände!“ gesagt und meine Hände jedesmal an meinen Seiten festgehalten bis sie bis 3 gezählt haben. Sobald ich drei Mal Handschütteln und Augenkontakt hintereinander ausgeführt hatte, sind sie zu Umarmungen übergegangen. Die schrecklich waren. Stichwort Meltdown. Stichwort Unterdrückung.

Sie haben mit den Umarmungen bis zum Ende der 4-stündigen Sitzung (inklusive Interessensermittlung) weiter gemacht und dann bin ich abgereist.“

17 Kommentare zu “ABA – Bericht eines „Klienten“

  1. Es widerstrebt mir hier „gefällt mir“ zu klicken, weil es so furchtbar ist … 😦 Das ist … Menschen zerbrechen und umprogrammieren. Menschenverachtend. Unerträglich.

  2. Boah, ist das krank. Erst selbst einen Anfall hervorrufen und dann meinen, den müsse man jetzt therapieren. Mich graut es noch immer. Was soll an dem jungen Menschen (wie alt?) denn auf diese Weise zu therapieren sein? Wie kommen Eltern (Vater?) auf die Idee, dieser intelligente junge Mensch bräuchte ein Therapie, die ihn sogar erst krank macht?

    Kurze Zwischenbemerkung: der Begriff „Klient“ wird heutzutage überall statt Patient in Therapien benutzt. Ich hasse ihn, aber komischerweise findet mein erwachsenener, autistischer Sohn den ganz prima. Er mag „Klient“, wobei er niemal so seltsame Therapien mitmachen musste. Wofür auch? Allein durch das Älterwerden haben sich viele seiner Stereotypien abgemildert. Und seine positive Entwicklung hat er selbst zu verantworten, das war ihm immer wichtig. Das war nicht der Therapeut XY, das war ganz allein er.

    Man merkt, ich schweife ab, weil mich der Text so furchtbar belastet und ich so froh bin, dass ich solche Auswüchse in Therapien immer im Keim ersticken konnte. Auch wenn ich dann beim Jugendamt die kindeswohlgefährdende war, die ihr Kind absichtlich behindert halten würde. *schluchz*

  3. Es gibt ein aufschlussreiches Video von Amythest Schaber, das ich als eindringlichen Appell und gleichzeitig als eine sympathische Einladung an uns NTs verstehe, mit Autisten in einen *Dialog* auf der Basis eines wirklichen Verstehen-Wollens einzutreten.

    Erschütternd: Durch den oben verknüpften und übersetzten Text wurde mir klar, dass sie im Video bezüglich PTSD (=PTBS) wohl von sich selbst spricht.

  4. Es schockt mich nicht mehr.

    Noch vor ein paar Monaten bekam ich endende Hassgefühle gegenüber diesen Therapeuten.

    Doch dann viel mir mehr und mehr auf was im Namen von Therapie, Heilung oder der Wissenschaft so alles gemacht wird.

    Seitdem wundert mich nur eines:

    – Waren Tierversuche nicht so langsam geächtet ? –

    WIESO zum AUFSCHREIEN nochmal – WIESO dürfen SIE mit MENSCHEN Experimentieren?

    Den ABA ist für mich wie Menschenversuche!

    Gegen den Willen des einzelnen!

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  6. Pingback: Der Tag ist jetzt eh schon im A… | sinnesstille

  7. Pingback: ABA – Gott oder Mammon? | Aspergiller – Aspergill & Asperger

  8. HORROR pur, oder? Das hat was von „Hadamar“ und anderen „Umerziehungslagern“ der Nazis… Klingt vielleicht jetzt hart- aber die Menschen zu einheitlichen Wesen zu formen, sowas gab es in der deutschen Vergangenheit doch schonmal, oder?
    (Ich reblogge diesesn Beitrag!)

  9. Einfach nur abscheulich, was dort geschildert wird! Ich habe auch nur „Gefällt mir“ gedrückt, weil ich finde, dass die Öffentlichkeit endlich davon erfahren muss, wie hier mit wehrlosen Kindern und Jugendlichen umgegangen wird.

  10. Pingback: ABA – Bericht eines “Klienten” – fialog

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